Aufgereihte Erinnerungsbilder

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yaltur Avatar

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„Mit Worten habe der Dichter die Welt beschworen. (…) Shakespeare habe für das Volk geschrieben und das Volk kannte die Pflanzen, von denen er schrieb und es kannte alles das, was er den Pflanzen zuschrieb (…) und ihre magische Wirkung.
„Im Gegensatz zu uns“, sagte er (…) Uns entgehe doch diese magische, zauberische und gleichzeitig sehr reale Ebene fast vollständig.
„Nur das Wortgeklingel“ und das meine er nicht abwertend! – nur das Wortgeklingel trage noch diesen Zauber mit, aber was darunterliege, eine Tiefe der Bedeutungen und Weisheit auch und Kenntnis dessen, was einen umgab, (…) das müsse das heutige Publikum sich hart erarbeiten.“ (S. 147)

Dieses Zitat erschließt sich dem Leser dieser Rezension sicher nicht ohne Weiteres.
Doch es lässt, so meine ich, drei bemerkenswerte Charakteristika dieses Buches aufscheinen.
Erstens ist es geprägt durch eine sehr eigene, mal eindringlich-mitnehmende, mal ratlos-zurücklassende Sprache. Satzbau und Interpunktion sind sehr eigenwillig.
Zweitens erweckt die Autorin nicht nur in der zitierten Passage den Eindruck, dass Sie selbst beim Schreiben um „eine Tiefe der Bedeutungen und Weisheit“ ringt – vielleicht um sich mit Skakespeare zu messen.
Drittens liest sich das Buch nicht wie ein Roman; eher wirkt es wie eine Aneinanderreihung aufsteigender Erinnerungsbilder – möglicherweise formuliert bei der Betrachtung von Familienfotos aus weit zurückliegenden, meist schweren Zeiten.

In Letzterem liegt die durchaus eindrucksvolle Qualität des Buches: Durch die eindringliche Beschreibung ausgewählter Situationen – fast vergessener Fotos – erhält der Leser intensive Einblicke in das aufreibende Leben gerne verdrängter Zeiten:
„Statt eines Begräbnisses gab es eine Trauerfeier vor dem leeren Grab. In fremder Erde, sagte der Pfarrer, und Franz wusste nicht, wie er sich fremde Erde denken sollte, und der Gedanke überfiel ihn, wie denn die Brüder gestorben waren, erschlagen, erschossen, verbrannt, ihre armen zerfetzten Körper. Wenn das Vaterland, sagte der Bürgermeister, solche Söhne hatte, die ihr junges Leben opferten, für einen großen, einen heiligen Zweck; dass das Opfer nicht umsonst war, sagte der Lehrer, heiliges Blutopfer; Gott sei ihrer Seele gnädig, sagte der Pfarrer.“ (S. 165 f)