Schwer zu ertragen und doch nicht wegzulegen

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waschbaerprinzessin Avatar

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„Wie sich hinter ihnen allen die Zeit auftürmte, dachte Astrid auf der Heimfahrt. Versteinerte Zeit. Granitene Härte.“

Genau darum geht es in Elisabeth Schmidauers Roman „Fanzi“, um die erdrückende Last der Vergangenheit. Erzählt wird abwechselnd aus Sicht der Biologin Astrid und ihres Großvaters Franz, der im Kindes- und Jugendalter den zweiten Weltkrieg in einem österreichischen Dorf in der Nähe von Linz miterlebt hat. Die traumatischen Erlebnisse sowie erdrückenden Schuldgefühle aus dieser Zeit lassen ihn auch als alten Mann nicht los. Durch die wechselnde Perspektive zwischen Großvater und Enkelin gelingt es der Autorin, auf eindrückliche Weise zu zeigen, wie sich die unvorstellbaren Schrecken des Krieges auch auf die nachfolgenden Generationen auswirken.

Besonders fasziniert hat mich an diesem Roman Schmidauers ebenso fesselnder wie poetischer Schreibstil. Ihre atmosphärischen Naturbeschreibungen sprechen alle Sinne an, ich konnte das Geschilderte beim Lesen förmlich sehen, fühlen, riechen und schmecken. Die Autorin beschwört durch ihre Schreibweise eindrückliche Bilder herauf: Bilder der Verwesung, des Verfalls und des Schreckens, aber auch Bilder der Fülle und Farbenpracht der Natur, vom Wunder der Entstehung der Erde. Vom ersten Satz an wurde ich in die dunklen Gedankenstrudel, Erinnerungen und Albträume der beiden Protagonisten hineingezogen. Dadurch konnte ich mich gut in Astrid und Franz hineinversetzen und habe mit ihnen mitgefühlt und gelitten.

Schmidauers Schilderungen wirken äußerst authentisch und ich konnte mir beim Lesen gut vorstellen, dass sich die Geschehnisse so oder so ähnlich in verschiedenen Landwirtsfamilien der Zeit ereignet haben. Sowohl die Fakten zur Geschichte als auch zur Biologie erscheinen gründlich recherchiert und der österreichische Dialekt, in dem einige der Figuren sprechen, trägt ebenfalls zu dem Gefühl bei, eine überaus realistische Erzählung vor sich zu haben. Dass man sich den Figuren, die eigentlich niemanden an sich heranlassen, beim Lesen so nahe fühlt, führt dazu, dass der ohnehin harte Stoff umso stärker betroffen macht.

„Fanzi“ ist nicht nur ein Roman über die verstörenden Ereignisse des zweiten Weltkriegs und den Umgang der Überlebenden und ihrer Nachkommen damit, sondern auch über das Verhältnis von Mensch und Natur und über die kleinen Dinge, die das Leben trotz aller Widerstände lebenswert machen. Die Geschehnisse sind schwer zu ertragen, aber umso wichtiger ist es, dass sie nicht in Vergessenheit geraten, und ich kann allen nur empfehlen, sich die Gräueltaten der Vergangenheit von Elisabeth Schmidauers ergreifendem Roman und ihrer beeindruckenden Art und Weise, mit Sprache umzugehen, in Erinnerung rufen zu lassen.