Viel mehr als Weight Watching

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sunnyju Avatar

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Es war vor allem der Titel des Buches, der mich neugierig gemacht hat und eine Leseprobe hat lesen lassen. In dem Fall war das Glück, denn hätte ich in einer Buchhandlung gestanden und den Klappentext auf dem Rücken oder im vorderen Einband gelesen, hätte ich es vermutlich zurückgestellt. Dort klingt es so sehr nach Kampf ums Idealgewicht, dass mir die Leselust vergangen wäre. Dabei stimmt es schon: inhaltlich dreht sich in der Erzählung aus der Kindheit der Autorin und der Beschreibung der elterlichen Beziehung und Persönlichkeiten vieles um das Gewicht der Mutter. Aber nicht im Sinne einer Mutter, die immer aufs Essen achtet, weil sie selbst mit ihrem Gewicht unzufrieden ist. Vielmehr ist die Körperfülle der Mutter stetiger Ausdruck der väterlichen Unzufriedenheit: wann immer der Vater sich minderwertig fühlt und mit seinem Selbstwert kämpft, macht er die Kilos der Mutter dafür verantwortlich. Er ist es vor allem, der damit hadert, hinter seinen persönlichen Idealen zurückzubleiben. Die Mutter derweil kämpft ihrerseits damit, ihr Glück nicht wirklich in die eigene Hand nehmen zu können, sondern gefangen zu sein in gesellschaftlichen Ansprüchen und patriarchalen Strukturen. Innerlich schafft sie ein Stück Befreiung, aber wie kann ihr das im Außen gelingen? Es geht also eigentlich um so viel mehr als Gewicht.
Ich habe das Buch gerne gelesen. Es ist in leichter, humorvoller Art geschrieben und man kann mit den einzelnen Personen mitschmunzeln, mitleiden und sich mitaufregen. Regelmäßig ist die Erzählung unterbrochen von kurzen Rückblenden oder Erklärungen, die wirken wie kurze Bezüge zur „Realität“, während immer wieder betont wird, dass die eigentliche Erzählung eine Mischung ist aus Autobiografie und Fiktion. Dabei scheint man der Autorin bei der eigenen Aufarbeitung zu folgen. Für mich haben diese Rückblenden immer noch eine interessante Note mit reingebracht. Trotzdem hat mir etwas gefehlt, das schwer zu benennen ist. Ich glaube, ich bin dadurch immer etwas auf Distanz zu den Personen geblieben.
Was mich immer wieder im Lesefluss gestört hat, war die Kursivsetzung von Redewendungen. In manchen Kapiteln kam das so gehäuft vor, dass ich mehr damit beschäftigt war, was die Autorin dem Leser damit wohl sagen will (ohne dieses Rätsel lösen zu können) als mit der eigentlichen Geschichte. Ihr Verhältnis zu Redewendungen wird sogar kurz im Buch Thema, aber das hat es mir auch nicht leichter oder verständlicher gemacht.
Ich finde es immer nicht leicht, autobiografische Romane zu bewerten, aber fand „Lügen über meine Mutter“ lesenswert und unterhaltsam.