Jedes Leben ist lebenswert

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buecherfan.wit Avatar

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Harald Darers Roman “Mongo“ beruht auf der eigenen Familiengeschichte. Als seine Frau Katja schwanger wird, freut sie sich zunächst nicht, denn sie fürchtet, ihr Kind könnte den genetischen Defekt erben, unter dem auch ihr etwas älterer Bruder Markus leidet: Trisomie 21. Sie hat hautnah erlebt, welche Benachteiligungen für den Betroffenen und seine Familie daraus resultieren und welche Verantwortung den Angehörigen aufgebürdet wird. Der Bruder wurde ausgegrenzt, beschimpft und lächerlich gemacht. Nicht selten wurde geäußert, dass so einer zu nichts nutze sei und vergast gehört.
In vielen ausführlichen Rückblenden wird dem Leser gezeigt, was Markus erlebte und wie seine Familie damit umging. Die Schwiegermutter verhielt sich nicht gerade vorbildlich, aber Katja liebt ihren Bruder, und auch Harry entwickelt ein liebevolles, beschützendes Verhältnis zum Schwager. In vielen Szenen zitiert er ihn mit seiner ganz eigenen Sprache („AH, ICH DENKE WAS“) und zeigt, wie witzig und charmant Markus sein kann. Er ist derjenige, der ihn schließlich nicht dauerhaft im Heim dahinvegetieren lässt und ihm sogar eine Art Sexualleben organisiert.
Der Roman ist aber nicht nur eine Familiengeschichte, sondern vor allem auch eine scharfe Kritik an der Art, wie die sogenannten Normalen mit allen umgehen, die durch geistige und körperliche Behinderungen anders sind und deshalb in einer profitorientierten Gesellschaft nicht von gesellschaftlichem Nutzen sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Autors, dass es auch in Österreich während des Zweiten Weltkriegs Euthanasie gab, und nach dem Krieg kein einziges Verfahren mit einer Verurteilung der Täter endete. „Volk, begnadet für das Schöne, viel gerühmtes Österreich“ (S. 181) merkt der Autor ironisch an und macht seine Position sehr deutlich: Es gibt kein lebensunwertes Leben. Jeder hat die Chance auf Glück.
Ich habe diesen wichtigen Roman gern gelesen, auch wenn die Lektüre durch unzählige Dialektausdrücke und ungewohnte Satzstrukturen nicht mühelos ist. Die Bedeutung vieler Begriffe lässt sich allerdings aus dem Kontext erschließen. Die Sprache des Autors ist auch deshalb besonders, weil er grundsätzlich direkte Rede nicht durch Anführungszeichen markiert und keine Scheu vor drastischen Formulierungen hat. Ein ungewöhnlicher, sehr empfehlenswerter Roman.