Ein bisschen wie ein Christie-Krimi

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Weder die Autorin noch der Umstand, dass Agatha Christie mal für einige Tage verschwunden war, waren mir bekannt, bevor ich auf dieses Buch stieß. Der Frage in Romanform nachzugehen, was da passiert sein könnte, klingt doch spannend, oder?

Laut Autorin ist es ihre Mission, die Geschichten einflussreicher und komplexer Frauen so zu präsentieren, dass Leser ihre bis heute reichenden Einflüsse erkennen und würdigen können. Den Wunsch, Christies Werk wiederzuentdecken und ihr Vermächtnisses zu retten, dürfte bei der (bisher?) erfolgreichsten Schriftstellerin aller Zeiten nicht nötig sein. Doch selbst sie könnte mal in Vergessenheit geraten, weil ihre Geschichten für heutige Verhältnisse unmodern langsam erzählt sind, insofern kommt das Buch vielleicht genau zur rechten Zeit. Die Autorin Marie Benedict schildert, dass genau der Ruhm Christies sie fast abgehalten hätte, über sie zu schreiben, dass jedoch der Umstand, dass Christies Verschwinden der Nachwelt ein Rätsel ganz im Stile von Christies Geschichten sie letztlich bewogen habe, der Frage nachzugehen, ob genau dieses Verschwinden Christies Ruhm begründete: Was ist da passiert? War es eine Art „Marketinggag“ der noch nicht erfolgreichen Autorin, um ihre Werke interessanter zu machen? Dies sollte man wissen, um die Geschichte einordnen zu können, die prinzipiell um 11 Tage im Leben Agatha Christies im Jahr 1926 kreist, in denen sie nicht auffindbar war. Die Handlung spielt vorwiegend in den Jahren 1912 und 1926 sowie punktuell in der dazwischenliegenden Zeit. Nach ihrem Verschwinden suchen unzählige Menschen nach der Begründerin des modernen britischen Kriminalromans, deren Geschichten so spannend wie knifflig sind, und die damit Protagonistin eines ihrer eigenen Krimis sein könnte: Sie verschwindet auf mysteriöse Art, taucht ebenso wieder auf und behauptet, an Amnesie gelitten zu haben – das soll man glauben?

Und genau mit der letzten Frage sind wir bei der alles umwehenden Frage dieser Geschichte: War es so, wie Benedict es erzählt oder ist es zumindest wahrscheinlich, dass es sich so ereignet hat? Diese Unsicherheit machte es mir manchmal schwer – dabei ist das ja eigentlich genau Christies Stil. Vielleicht hat Benedict Christie für meinen Geschmack zu sehr „adaptiert“ (mich plagte die Frage: Kann man der Erzählerin trauen?). Davon abgesehen stellt Benedict Christie als intelligente, talentierte und couragierte Frau vor, die sich den Zwängen, denen Frauen dieser Zeit unterworfen waren (gesellschaftlich, Ehe …), nicht beugen und stattdessen selbstbestimmt leben wollte. Sie beschreibt, wie Christies Ehe zunehmend belastet wird, und zwar in wechselnden Erzählsträngen der erwähnten Zeitebenen, sodass sich erst nach und nach die Puzzlestücke zusammensetzen – wie bei einem Fall Christies eben. Erzählt ist die Geschichte in einem flott lesbaren, aber wenig anspruchsvollen Stil (da hatte Christie mehr Pfiff). Um das Verschwinden Christies ranken sich zahlreiche Mutmaßungen, Benedict liefert eine weitere, die zwar plausibel ist, letztlich jedoch eben auch nicht mehr: Das ist interessant zu lesen, wer aber wissen will, was wirklich passierte, wird hier nicht weiterkommen. Die Geschichte ist als Roman kategorisiert, erhebt also keinen Anspruch auf „Aufklärung“, dennoch finde ich die Vermischung von Fiktion und Realität manchmal schwierig, so auch hier. Für Christie-Fans sicher eine spannende Lektüre; doch wer wissen will, was wirklich passiert sein könnte, sollte sich vielleicht besser selbst auf Quellensuche begeben, Werke Christies aus der Zeit um ihr Verschwinden lesen und damit umgehen wie mit ihren Krimis. 3,5 auf immer noch solide 3 abgerundete Sterne, für eine Geschichte, bei der letztlich jeder selbst entscheiden sollte, ob die Lektüre lohnt.