Zwei Seiten einer Platte

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courfeyrac Avatar

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Aus einer Laune heraus entstand ein Stapel Visitenkarten, auf denen der Erzähler sich selbst als „Vinyldetektiv“ bezeichnete. Ein Jux der Ernst wurde als die hübsche N. plötzlich nach guter alter Film-Noir-Manier bei ihm auftauchte und für ihre anonymen Vorgesetzten seine Dienste einforderte. Nachdem er sich durch Bestehen eines Tests als vertrauenswürdig erwiesen hatte erteilt sie ihm den eigentlichen Auftrag: Eine seltene Schallplatte, natürlich als Original, soll er aufspüren. Wie bei einer Schnitzeljagt klappern sie verschiedene Stationen gemeinsam ab. Dabei werden immer wieder neue Charaktere eingeführt. Manche bleiben der Erzählung als wiederkehrende Elemente erhalten, manche werden nur aufgestellt um schnell das zeitliche zu segnen und ohne viel Sentimentalität in Vergessenheit zu geraten.

Das Buch teilt die Handlung unter den Titeln „A-Seite“ und „B-Seite“, was dem Bild der Schallplatte geschuldet ist und dem Bruch der Handlung Rechnung trägt. Beim Film wäre es vergleichbar mit einem Teil I und II bei dem der erste Teil als abgeschlossene Geschichte für sich stehen könnte, die Fortsetzung jedoch mit einer kaum zu erwartenden Wendung angestoßen wird. Die weibliche Hauptrolle wird variiert und die Handlung bzw. der Auftrag in verschärfter Form wieder aufgegriffen. Mehr Schallplatten, mehr Leichen, mehr Schauplätze und die Frage, wer eigentlich auf welcher Seite steht.

Der Erzähler bleibt, wie die meisten handelnden Personen, eher wage umrissen. Als Leser erfährt man nur, was für die Handlung wichtig ist. Wenig ist über die Umstände bekannt, wie es dazu kam dass der Vinyldetektiv allein mit zwei Katzen in seinem Londoner „Bungalow“ neben dem Kloster wohnt. Die Geschichte seines Karriereknicks wird knapp durch einen Nebencharakter eingewebt, aber hier wie auch an anderen Stellen sind noch viele Anknüpfungspunkte für spätere Vertiefungen eingebaut. Offensichtlich wollte der Autor sich noch ausreichend Material für die folgenden Bücher aufsparen.

Ich weiß nicht, ob der Roman wirklich eine tiefere Ebene für Jazz und Schallplattenfans hat. Für mich wirkte das gesuchte Vinyl wie ein klassischer McGuffin. Der Roman liefert keine wirkliche Erleuchtung in irgendeiner Weise. Das ist wohl auch gar nicht das Ziel. Es ist eine unterhaltsame Achterbahnfahrt die gerade soweit ausgeschmückt ist um zu funktionieren, die aber gleichzeitig so sparsam mit Informationen über Personen und Orte umgeht, dass man die Welt zwischen den Buchdeckeln als Leser selbst ergänzen kann.

Die Tatsache, dass Andrew Cartmel schon für Dr. Who geschrieben hat, war mir beim Lesen nicht bewusst. Ich wurde darauf erst im Nachwort aufmerksam als er sich bei Ben Aaronovic bedankte, dessen „Flüsse von London“-Serie ich auch so gerne lese wie ich Dr. Who verfolge. Von daher passt Cartmel tatsächlich von Haus aus in mein „Konsumschema“. Wahrscheinlich werde ich die angekündigten Nachfolger auch gleich lesen wenn sie herauskommen.