Mädchenmord in postindustrieller Melancholie

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fannie Avatar

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Ein Mordfall schreckt im Januar 1961 die triste Hafenstadt Newry in Nordirland auf: Pearl Gamble, 19 Jahre alt, wird ermordet auf einem Stoppelfeld aufgefunden. Geschlagen. Erwürgt. Erstochen. Der vermeintliche Täter steht schnell fest, „denn die Stadt regelt das auf ihre Weise“. Der 26-jährige Robert McGladdery wird wegen des Mordes an Pearl verhaftet. Da in Nordirland die Todesstrafe noch nicht abgeschafft ist, gibt es nicht Wenige – vom Sergeant bis hin zum Regierungsmitglied – die McGladdery am Galgen hängen sehen wollen. Nur Eddie McCrink, der vorher in London tätig war und nun der neue Polizeiinspektor ist, forscht dort weiter nach Beweisen, wo es nur Indizien gibt und stößt dabei auf vermeintlich wohlgehütete Geheimnisse. Damit macht er sich an ranghohen Stellen aber keinesfalls Freunde…

Wäre Eoin McNamees Roman „Requiem“ ein Gemälde, dann hätte man es ausschließlich mit rabenschwarzem Kohlestift gezeichnet. Düster, drückend und mit einem Anflug von Melancholie stellt er die Stadt Newry im Besonderen und Nordirland im Allgemeinen dar. Hohe Arbeitslosenquoten, leerstehende Fabrikgebäude, die Rauheit des Hafens, tiefhängende Wolken mit immerwährendem Nieselregen und über allem der Staub von Kohle: Dank Eoin McNamees bildhafter Schilderungen wird der Leser rasch ein Teil dieser erdrückenden Düsternis.

Der Roman beruht auf Fakten, denn Robert McGladdery war tatsächlich der letzte Hingerichtete in Nordirland. Insofern weiß man von Beginn an um das Ende des Buchs. Dennoch sind gerade die letzten einhundert Seiten von Spannung geprägt. Leider kann man das nicht vom ganzen Buch behaupten, denn es gibt Stellen, da fühlt man sich wie auf einem Karussell: Die Ermittlungen schreiten nicht recht voran, alles dreht sich um die immer gleichen Fragen, der Fortgang der Geschichte stagniert. Dafür hat Eoin McNamee einen Schreibstil, der Applaus verdient: Wortgewandt und poetisch schreibt er Sätze, die man sich regelrecht auf der Zunge zergehen lassen muss. Hier hat auch der Übersetzer Hansjörg Schertenleib ganze Arbeit geleistet!

Zusammenfassend kann ich sagen, dass „Requiem“ keinesfalls ein leichtes Buch ist. Man muss sich darauf einlassen können und sich teilweise regelrecht dazu überwinden, zur Lektüre zu greifen. Andererseits glänzt der Roman durch die bildhafte Darstellung der postindustriellen Melancholie, den spannenden Mordfall, das unglaubliche Gebaren korrupter Menschen aus Politik und Justiz und durch die schon erwähnte – beinahe lyrische – Schreibweise von Eoin McNamee. Mein Fazit: „Requiem“ lässt mich ein wenig gespalten zurück. Dennoch hat das Buch auf mich eine kaum zu beschreibende Faszination ausgeübt.