Ein Tourette-Tagebuch - Sachbuch, Erfahrungsbericht und mehr

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nadines_buecher Avatar

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Jess Thom beschreibt in einer Art Tagebuch oder Blog ein Jahr lang in verschieden langen Episoden ihre Erlebnisse als Erwachsene mit und durch das Tourette-Syndrom. Dies tut sie auf authentische und sympathische Weise, gespickt mit sachlichen Informationen über das Krankheitsbild. So z.B. erwähnt sie, dass häufiger Männer das Tourette-Syndrom haben, sie als Frau diesbezüglich also etwas Besonderes ist. Dementsprechend hat sie sich den Spitznamen Touretteshero gegeben, wie sie auch ihrer Schwester und einem Teil ihrer Freunde während Tics Spitznamen gegeben hat, die diese mitunter als ehrenvoll betrachten. Jess erlebt im Alltag Hilfe und Beistand von Seiten, von denen sie es nicht erwartet hat, aber auch die Verweigerung von Hilfe durch Menschen, deren Job es ist Hilfe bereitzustellen. Polizei und U-Bahnangestellte reagieren häufig ungehalten auf ihre Flucherei, die sie scheinbar in Angst- und Stresssituationen nicht stoppen kann. Nicht nur deshalb geht Jess mittlerweile sehr offen mit ihrer Situation um, denn die Öffentlichkeit bekommt diese unmittelbar mit in Form ihrer Tics. Sie ist berufstätig, neugierig, mutig und versucht all das zu tun, was junge Frauen tun. Interessant ist, dass das was sie während eines Tics äußert nicht etwas ist, woran sie gerade gedacht hat. Es kommen Dinge hervor, über die sie zuvor einmal nachgedacht hat, aber völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Inzwischen sieht sie ihre Aussagen als kreative Bilder, mit denen sie Kollagen erstellen kann. Auch wenn diese dann recht derb ausfallen, wie man augenzwinkernd aber mit trockenem britischen Humor mitgeteilt bekommt. Ebenso erzählt Jess, dass sie Tics auch stoppen kann und dass sie sich durch die Einnahme von Medikamenten nicht wohler fühlt. Das Hineinlesen in ihr Buch macht Laune, sie ein Jahr zu begleiten und mehr über ein Syndrom zu erfahren, das tatsächlich oftmals auf „Zuckungen“ und „derbe Flüche“ reduziert wird. Als eine Mischung aus Tagebuch/Blog, Erfahrungsbericht, Biographie und Sachbuch erhält man als Leser/in einen Einblick in eine Welt, die man als Nicht-Betroffene/r logischerweise nur von außen beobachten kann und die zunächst befremdlich, vielleicht sogar abstoßend wirkt, was die Autorin meiner Meinung nach durch ihre lebendige, sympathische, alltagssprachliche Erzählung auflösen kann.