Keine Vergebung

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buecherfan.wit Avatar

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In Zoran Drvenkars Roman Sorry geht es um vier junge Leute - die Brüder Kris und Wolf und die Freundinnen Tamara und Frauke - die eines Tages die Idee haben, eine Agentur unter dem Namen “Sorry” aufzumachen und sich gegen Bezahlung für andere zu entschuldigen. Das Geschäft läuft hervorragend, und sie verdienen sehr viel Geld. Eines Tages bekommen sie jedoch von einem Kunden den Auftrag, sich bei einer Toten für ihren qualvollen Tod zu entschuldigen. Sie müssen im Rahmen ihres Auftrags auch noch die Leiche entsorgen, was zu ersten Komplikationen und Streit unter den Freunden führt. Der Mörder verpflichtet sie erneut : sie müssen sich um die Leiche eines Mannes kümmern. Sie begreifen, dass es für sie so ohne weiteres kein Entkommen aus der Zwangslage gibt.

Aber auch der Mörder hat sich getäuscht, als er glaubte, alles unter Kontrolle zu haben und die Aktion

nach seinem Gutdünken beenden zu können. Die Dinge laufen völlig aus dem Ruder, als ein weiterer

Täter auftaucht, der ihn nun genauso jagt wie die Mitarbeiter der Firma Sorry.

Der Roman verlangt dem Leser einiges ab, nicht nur weil er einige grausige Szenen enthält, sondern weil er ein Puzzle darstellt, das erst zusammengesetzt werden muss. Es wird nicht chronologisch erzählt, sondern es gibt ein “Davor”, “Danach” und ein “Dazwischen” . Das umgestellte Erzählen hat zur Folge, dass man den Roman eigentlich zweimal lesen muss, um zu verstehen, wie alles zusammenhängt. Nach dem Prolog mit dem grausamen Mord aus Rache beginnt Teil I mit dem Ende des Romans unter der Kapitelüberschrift “danach”. Der “Erstleser” begreift hier gar nichts. Er weiß nicht einmal, wer spricht. In zahlreichen Rückblenden

erfahren wir etwas über die Vorgeschichte und das Motiv des Mörders. Es gab einmal zwei kleine Jungen, die eng befreundet waren. Als sie zehn Jahre alt waren, wurde einem von ihnen etwas Schlimmes angetan, das sein Leben zerstören wird und das seines Freundes auch. Die Identität der Jungen ist zusätzlich verschlüsselt, weil sie sich die Namen ihrer Filmidole gegeben haben, Butch und Sundance. Der Mörder lädt durch einen ersten Mord schwere Schuld auf sich, die er sühnen will, indem er seinen Freund rächt. Er hat jedoch nicht mit einem weiteren Beteiligten gerechnet, dessen Identität zunächst auch verborgen bleibt. Es ist Der Mann, der nicht da war. Auch diese Figur spielt eine Rolle als Jäger und Gejagter. Am Ende sind sie alle Täter und Opfer zugleich. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist verwischt. Der Mörder erklärt zum Ende hin, warum er die Agentur eingeschaltet hat. Er wollte die jungen Leute für ihre Anmaßung bestrafen, weil sie glauben, dass sie durch ein paar Worte einen anderen Menschen von Schuld befreien können. Schuld ist etwas Persönliches. Jeder hat seine Last zu tragen, auch Kris, Wolf, Tamara und Frauke. Sie selbst wissen das auch, und der Leser sieht an ihrerVorgeschichte, dass sie ebenfalls auf die eine oder andere Art schuldig geworden sind.

Erzählt wird aus ständig wechselnder Perspektive. Es gibt einen allwissenden Erzähler, der sich immer

wieder im Pluralis Majestatis direkt an den Leser wendet. Er blickt von außen auf das Geschehen, ist keine Person in der Handlung, und er allein kennt die ganze Geschichte. (“Bevor wir über dich sprechen (i.e. Kris), möchte ich dir die Menschen vorstellen, denen du bald begegnen wirst.” oder “Du fragst dich jetzt bestimmt, warum wir uns mit einer Frau aufhalten, der es nicht einmal gelingt, nach dem Erwachen ihr Gesicht zu waschen ...”). Wenn es nicht um die zeitliche Zuordnung geht, sind die Kapitel mit den vier Namen überschrieben, aber auch mit Der Mann, der nicht da war oder mit “Du“. In den mit “Du” betitelten Kapiteln spricht der Mörder, als hätte er ein Gegenüber. Diese ungewöhnliche Erzähltechnik symbolisiert, dass er durch den ersten Mord seine Identität verloren hat. Er will sie durch seine Rache zurückgewinnen, um sich wieder selbst im Spiegel anschauen können.

Bis es so weit ist, hat er in seiner Wohnung alle Spiegel verhängt. Der Mörder lebt zwei Leben zugleich - das eigene und das seines Freundes. Er hat ganz offensichtlich psychische Probleme. Seine Schuldgefühle haben zu einer gespaltenen Persönlichkeit geführt.

Mit Sorry hat Drvenkar einen raffinierten, überaus spannenden Thriller geschrieben, der sich deutlich

von der üblichen, häufig ziemlich anspruchslosen Thrillerkost unterscheidet.