Der Serienmörder mit dem Tranchiermesser

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

 

Gerade hat Lara Simons die Eröffnung ihres Cafés gefeiert, da wird sie von einem falschen Taxifahrer brutal überfallen. Sie kann entkommen und überlebt, muss sich aber mit Tochter Emma in das Zeugenschutzprogramm begeben, weil der unbekannte Serientäter ihr offen droht. Unter neuem Namen lebt sie sechs Jahre unbehelligt auf Rügen. Sie hat Arbeit und einen neuen Freund, nur Tochter Emma ist seit sechs Jahren stumm, weil sie durch die Ermordung ihres Vaters traumatisiert ist. Dann fängt der Albtraum von vorn an, weil der Mörder sie offensichtlich aufgespürt hat. In mehreren Rückblenden wird der junge Andreas von Bülow gezeigt, der an seinem 18. Geburtstag (1979) seinen ersten Mord begeht, ein Jahr später (1980) den zweiten. Seinem zweiten Opfer, einer jungen Referendarin, erzählt er seine Geschichte, und damit erfährt auch der Leser sein Motiv für die grausamen Morde an Frauen. Er will sie für den Tod seiner Eltern bestrafen und wählt Opfer, die der Frau ähnlich sehen, der er die Schuld am Tod der Eltern gibt. Lara Simons ist aus ganz speziellem Grund seine Zielperson geworden.

Der Thriller ist spannend und liest sich schnell, hat aber dennoch deutliche Mängel. Die Auflösung errät man vor allem deshalb nicht, weil auf den letzten 40 Seiten ein Reigen von ganz unwahrscheinlichen Verdächtigen präsentiert wird, deren bisherige Charakterisierung im krassen Widerspruch zu ihrer Täterschaft stehen würde. Zahlreiche (unmotivierte) Handlungsumschwünge sorgen beim Leser für Verwirrung und lassen das Ende dann doch arg konstruiert erscheinen. Beim großen Reinemachen am Schluss bleiben die meisten, vor allem die männlichen Figuren des Romans auf der Strecke.

Wie schon bei ihrem ersten Roman bedient sich Hanna Winter teilweise einer sehr drastischen Sprache (“Schon mal von einem Messer gefickt worden?” S. 12), und die Beschreibung der aufgefundenen Frauenleichen erscheint mir unnötig explizit (“… die Bauchdecke war oberhalb des Schambereichs geöffnet worden und gab den Blick auf die Eingeweide frei.” S. 55). Die Autorin lobt im Nachwort die grandiose Textarbeit ihrer Lektorin, aber etliche inhaltliche Ungereimtheiten und sprachliche Schnitzer hat sie dennoch übersehen. So hat eine Frauenleiche erst hüft-, dann schulterlanges Haar (S. 55/ S. 60). Der junge Polizist auf Rügen heißt auf S. 111 Boris Lerchien, auf der nächsten Seite dann Boris Albrecht usw. Sprachlich völlig misslungen sind zum Beispiel folgende Formulierungen: “Ein gleißender Schmerz zog sich quer übet Laras Gesicht,…” und “Die kleinen Mädchen waren ihm mit der Zeit überdrüssig geworden, …” (beide S. 333).

So bleibt bei mir nach der Lektüre ein  zwiespältiger Eindruck zurück, aber auch die Gewissheit, dass die Mängel den Einzug des Romans in die Bestsellerliste nicht verhindern werden.