Nette Idee, schwach umgesetzt

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missmarie Avatar

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Eigentlich gefallen mir Krimis, die neben dem eigentlichen Fall auch den Anspruch verfolgen, ein gesellschaftlich relevantes Thema zu platzieren. Das versucht auch Seraina Kobler in ihrem Krimi-Erstling. Dabei hätte sie sich aber besser auf die Sprache und die Figurenzeichnung konzentrieren sollen.

Zum Inhalt:

Rosa, Kommissarin bei der Seepolizei in Zürich, hat sich gerade entschieden, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, denn für sie und Ex Leo blieb nur noch die Trennung. Wenige Tage später wird dann zufällig genau der Arzt tot im See geborgen, der für ihre Behandlung zuständig ist. Jetzt wird es nicht nur für die Ermittlerin unangenehm - vom Eingriff sollte nämlich niemand wissen - sondern auch für die Angehörigen des Toten. Denn schnell stellt sich heraus, dass es gleich mehrere Frauen in seinem Leben gab, die alle ein Tatmotiv besitzen. Außerdem arbeitet der Arzt nicht nur in der Kinderwunschpraxis, sondern hat auch Anteile an einem Start up, das Erbkrankheiten ausmerzen möchte. Rosas ehemals persönliche Entscheidung, Eizellen zu konservieren und der Natur ein Schnippchen zu schlagen, gelangt somit auch immer mehr zum Gegenstand der Ermittlungen.

Meine Meinung:

Auf den knapp 240 Seiten versucht die Autorin vor allem ein: Ihr umfangreiches Wissen zu präsentieren. Ohne Frage hat Seraina Kobler nicht nur in Bezug auf die Ermittlungsarbeit genau (und sauber) recherchiert, sondern sich auch in die Genomforschung eingearbeitet. Bei letzterem Thema sind ihr aber einige kleine Fehler unterlaufen (so ist die Transplantation von Schweineherzen, die eine Figur anspricht, noch nicht so reibungslos möglich, wie dargestellt). Solche kleinen Ungenauigkeiten wäre zu verschmerzen, wenn der Roman nicht so thematisch überfüllt wäre. Neben der Genom-Forschung werden Fragen des Feminismus angesprochen, hin und wieder tauchen maritime Themen auf, dann geht es um die Festlichkeiten in der Zürcher Altstadt im Sommer. Es geht um protestierende Stundierende, um die Frage nach der Selbstbestimmung von Prostituierten, um Leihmutterschaft, um Erbkrankheiten, um Zukunftsutopien, ums Tauchen... Wäre das noch nicht genug, finden sich zahlreiche halbgare literarische Anspielungen auf Dürrenmatt und andere Dramatiker. Kurz gesagt: Thematisch ist es einfach zu viel. Dem Krimi hätte hier eine deutliche Entschlackung gut getan. Dann wäre es auch möglich gewesen, eines der gesellschaftliche relevanten Themen so zu beleuchten, dass sich auch der Leser die ethischen Fragen stellt, auf die er durch die Figuren mit dem Holzhammer hingewiesen wird.

Was bei der Themenwahl zu viel ist, ist bei der Figurengestaltung zu wenig. Ein Großteil des Personals bleibt farblos. Rosa bildet hier zwar eine Ausnahme, die Mitarbeiter auf der Wache, ihre beste Freundin oder die Schwestern hat man nach wenigen Seiten schon wieder vergessen. Wenn dann einer der Namen wieder auftaucht, muss man sich erst mühsam daran erinnern, wer das überhaupt war. Weil sich viele Personen irgendwie auch ähneln, dachte ich lange, Alina und Tonya seien dieselbe Figur. Leider konnte ich zu keiner Figur eine emotionale Bindung aufbauen, was wohl auch an der distanzierten Sprache liegen mag. Auch wenn die Figuren eine Ausnahmesituation erleben, bleibt die Erzählstimme seltsam distanziert-beobachtend. So muss ich leider auch sagen, dass mir Rosas Schicksal rund um ihr Liebesleben und die Frage nach Kindern bis zum Ende ziemlich egal blieb. Auch die gewollt originellen Metaphern zum Wasser konnten die sprachliche Minderleistung nicht wettmachen.