Das eindrucksvolle Ergebnis einer außergewöhnlichen Recherche

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mrscatastrophy Avatar

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Wer genau sind eigentlich "die Ultras"? Wie positionieren sich einzelne Gruppen zur Gewalt, wie eng sind ihre Verbindungen zur Politik, was treibt sie an? Wieso kann man die serbischen Ultras nicht ohne die Jugoslawienkriege verstehen und wie kam es, dass die türkischen oder ukrainischen Ultras eine wichtige Rolle bei politischen Aufständen in ihren jeweiligen Ländern spielten? Wie ist die Ultra-Szene weltweit vernetzt, welche Konflikte gibt es?

In diesem Buch nimmt der preisgekrönte britische Journalist und Fußballfan James Montague ein weltweites Phänomen unter die Lupe. Er hat es geschafft, als Journalist mit Ultras zu sprechen. Das allein ist schon etwas besonderes, ist die Ultra-Szene doch für ihre Skepsis gegenüber Medien bekannt. Herausgekommen ist ein Buch, das in dieser Form wohl einzigartig ist. Montague schildert detailliert die Ultra-Bewegung, ihre Entstehung, ihre politische Einbettung und ihre Ausrichtung in insgesamt 14 Ländern, beispielsweise Kroatien, der Türkei, Deutschland, Schweden, Uruguay oder Indonesien. Dafür spricht er nicht nur mit überzeugten Ultras, sondern auch mit Gründern von Ultra-Gruppen, mit politisch einflussreichen Figuren, die in den jeweiligen Ländern teilweise eng mit den Ultra-Gruppen vernetzt sind, und verortet so in jedem der behandelten Länder die jeweilige Ultra-Bewegung präzise in ihrem historischen und politischen Kontext. Außerdem besucht er mit den Ultras - wo möglich - Fußballspiele und kann so aus der Praxis berichten, statt nur theoretisch Dinge wiederzugeben. Trotz der detaillierten Belege und vielen Hintergrundinformationen liest sich das Buch flüssig und leicht.

Ich habe mich für das Buch entschieden, weil ich politisch sehr interessiert bin, aber wenig Ahnung von Fußball habe. Gerade die Auswahl der Länder, die teilweise nicht unbedingt als große Fußballnationen durch Weltmeisterschaften bekannt sind und die Entscheidung, Ultra-Szenen aus der gesamten Welt abzubilden, haben mich neugierig gemacht. Man sollte ein gewisses politisches Vorverständnis mitbringen und sich darauf einstellen, manche Namen oder Begriffe googlen zu müssen. Das tut dem Buch aber keinen Abbruch. Besonders gefallen hat mir, dass man durch die Unterteilung der Kapitel auch später noch einmal ein spezifisches Land nachschlagen kann, wenn man noch einmal etwas nachlesen möchte. Gleichzeitig zeigt das Buch deutlich die Verbindungen zwischen den Ultras verschiedener Länder auf, gegenseitige Einflüsse, Feindschaften, Freundschaften. Dabei sind die Kapitel gespickt mit Anekdoten, die einen schmunzeln lassen und verhindern, dass das Buch zu trocken wird.

Es hat mir sehr gefallen, dass Montague die Ultra-Szene in ihrer Komplexität erfasst und sie weder idealisiert noch pauschal kritisiert. Im Gegenteil zeichnet er ein sehr differenziertes Bild und die Leserinnen und Leser können sich auf dieser Basis eine eigene Meinung bilden- auch, wenn er sich trotzdem sehr klar gegen nationalistische und rassistische Ultra-Gruppierungen positioniert. Hierzu äußert er sich auch um Vorwort und schreibt, dass er sich entschieden hat, auch diese Ultra-Gruppierungen darzustellen, weil es wichtig ist, auch über diese Bescheid zu wissen.
Insbesondere das Vorurteil, dass es allen Ultras aber grundsätzlich nur um Gewalt und Chaos geht, hat Montague mit diesem Buch aber widerlegt.

Ich spreche eine klare Leseempfehlung für alle Fußballfans und Menschen aus, die sich für die Verbindungen von Fußball und Politik und die Struktur von Fankulturen interessieren. Einen Punkt Abzug gibt es lediglich, weil teilweise etwas viel Vorwissen vorausgesetzt wird.