Enttäuschend

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„Ein Meisterwerk“, gerne noch ergänzt mit dem Attribut „absolut“, „erstaunlich gereift“, „große Erzählkunst“ und „Was für ein Buch!“. Die Begeisterungsstürme zu Benedikt Wells neuem Roman „Das Ende der Einsamkeit“ sind mehr als zahlreich. Und das nicht nur in den Buch-Communities, sondern auch im Feuilleton. Selbst der sonst gerne nörgelige Dennis Scheck spricht von einem „Hammer von Familienroman.“
Nun ist es nicht das erste Mal, dass ich ein solch hoch gelobtes Buch ratlos zuklappe. Immer wieder frage ich mich allerdings, warum ich es so ganz anders empfunden habe.
Vielleicht liegt es daran, dass der junge und sicher sehr begabte Autor mit diesem Buch allzu sicher den Geschmack des Lesepublikums trifft.
Die Geschichte um drei Geschwister, deren glückliche Kindheit abrupt mit dem Unfalltod der Eltern endet, die sich zeitweise, aber nie ganz aus den Augen verlieren, die ihre Jugend in zweitklassigen Internaten verbringen und daraus mehr oder weniger beschädigt hervor gehen, wirkt für mich allzu konstruiert, zu bedeutungsschwer, zu aufgeladen mit allem, was das etwas anspruchsvolle, zur Melancholie und den „großen Fragen des Lebens“ in der Literatur neigende Publikum schätzt. Die Gleichung geht zu glatt auf.
Da ist natürlich die zunächst tragische Liebe des jüngsten, am Verlust der Eltern augenscheinlich am meisten leidenden Sohn Jules zu Alva, einer Klassenkameradin, die wie er eine Außenseiterin, eine traurig-melancholische Grüblerin ist. Tiefsinnige Literatur und Musik, das Buch als Playlist begleitend und von depressiven Songs wie „Heroin“ von Velvet Underground zum romantischen „Moonriver“ führend (und auch ausgesprochen gute Stücke umfassend), scheinen mir immer wieder zuzuraunen: „Schau mal, wie tiefschürfend und existenzialistisch wir sind! Genauso wie die Protagonisten – und der Autor.“
Genauso aufdringlich sind die ungezählten Schicksalsschläge, die die Figuren erleiden und die mich, anstatt zu berühren, schließlich nur noch genervt haben. Alles ist trotz seiner Komplexität so vorausschaubar! Für jede Kleinigkeit wird die Bedeutung gleich mitgeliefert.
Neben dieser allzu sehr auf ihre Wirkung bedachten Konstruiertheit gibt es aber noch einen Punkt, der mich sehr gestört hat. Und das war die mangelnde kritische Reflektion.
Zwar ist durch die Wahl der Ich-Perspektive natürlich automatisch eine große Nähe zu den Personen gegeben. Da die Ereignisse aber in der Retrospektive vom gealterten Jules erzählt werden, wäre da durchaus mehr drin gewesen.
Zumal manches Geschilderte zumindest fragwürdig ist.
Da ist zum einen mit welcher Selbstverständlichkeit dem schwer an Alzheimer erkrankten Ehemann der Jugendliebe und nun endlich auch tatsächlichen Geliebten Alva, die den beträchtlich älteren, berühmten und steinreichen russischen Schriftsteller (Brieffreund Nabokovs!) einst (aus sicher auch fragwürdigen Gründen, die hier aber natürlich auch nicht diskutiert werden) geheiratet hat und ihn nun als alten, kranken Greis nicht mehr ertragen kann (mit absoluter Kaltblütigkeit wird bereits an der Unterbringung in einem Privatsanatorium gearbeitet), mit welcher Selbstverständlichkeit diesem armen, verängstigen Mann also von Jules eine Flinte in die Hand gedrückt wird, ist verblüffend. Leicht verschämt wird vom Ich-Erzähler lediglich angemerkt, man könnte jetzt völlig irrtümlich annehmen, er „wollte sich eines Rivalen“ entledigen. Ach was, keineswegs, so durchweg positiv , geradezu heldenhaft die Personen von Benedikt Wells angelegt sind. Ich sehe schon das Lesepublikum dieses eigentlich unglaubliche Vorgehen weihevoll abnicken (wo sonst bereits beim Quälen jedes Kätzchens protestiert wird). Handelt doch der Ich-Erzähler ganz im Sinne des Demenzkranken (während er dessen Bitte, es bis zu seinem absehbaren Tod nicht in eigenen Haus mit seiner Frau zu treiben, leider nicht erfüllen konnte – Liebe, Leidenschaft und so). Es ist die so völlig unkritische Einstellung des Autors seinem Personal gegenüber, die mich schließlich richtig verärgert hat.
Nicht verschweigen will ich natürlich, dass der Autor tatsächlich sehr gut schreiben kann. Trotzdem ich ziemlich bald auf Krawall gebürstet war, hat er mich doch passagenweise wirklich gepackt und mitgenommen. Über weite Strecken gelingt ihm das Erzählen auch trotz der ganzen dramatischen Ereignisse und Verstrickungen relativ pathosfrei. Das ist natürlich auch ein Verdienst. Für mich war es aber eindeutig zu wenig.