XY

Was nicht sein kann ...

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... darf nicht sein ... Dieser Satz gilt für die beiden Hauptfiguren von Sandro Veronesis Roman XY. Schon die Leseprobe war sehr eindrücklich – mit einem interessanten Dürrenmatt-Zitat, das auf den Punkt bringt: Wir können ein Geschehen nie komplett beurteilen, da wir nur einige Details kennen und nie das ganze Bild in allen seinen unberechenbaren Einzelheiten vor Augen haben. Auch das trifft auf die beiden Protagonisten dieser Geschichte zu, sei

XY ist ein Roman, bei dem mich die Sprache, aber auch die Unglaublichkeit des Geschehens in den ersten Seiten beim Probelesen gepackt hat. Ob diese Sogwirkung anhielt, dazu nun Stück für Stück mehr.

 

Inhaltsverzeichnis:

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1. Der Autor: Sandro Veronesi

2. Ort und Zeit der Handlung

3. Hauptfiguren

\*\*\*a) Giovanna

\*\*\*b) Don Ermete

\*\*\*c) Zeno

4. Die Geschichte

5. Themen

\*\*\*a) Das Unerklärliche

\*\*\*b) Wahrheit

\*\*\*c) Beziehungen

\*\*\*d) Religion

6. Erzählweise

7. Zielgruppe

8. Daten zum Buch

9. Pro & Contra

10. Fazit

 

1. Der Autor: Sandro Veronesi

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Ich sag es ganz ehrlich: Mir war Sandro Veronesi vor der Leseprobe für „XY“ nicht bekannt. Denn ich tendiere normalerweise eher zu Krimis/Thrillern aus dem englischsprachigen Raum, insbesondere aus den USA.

Dabei ist es an sich vielleicht eine kleine Wissenslücke für Literatur-Liebhaber, Veronesi nicht zu kennen. Schließlich gilt der 1959 in Florenz geborene Autor in seiner Heimat Italien als einer der bedeutendsten Schriftsteller seiner Generation. Für den Roman „Sein anderes Leben“ gewann er die beiden wichtigsten italienischen Literaturpreise, den Premio Campiello und den Premio Viareggio. Sein Buch „Chaos Calmo“ wurde ebenfalls zweimal ausgezeichnet – und verfilmt.

Sandro Veronesi hat sechs Romane vor „XY“ veröffentlicht und arbeitet nicht nur als Autor sondern auch als Architekt.

 

2. Ort und Zeit der Handlung

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Für mich persönlich ist der Punkt „Ort und Zeit der Handlung“ eines Romans immer sehr wichtig. Normalerweise bevorzuge ich Geschichten, die in der Gegenwart spielen und im Idealfall in einem Umfeld, das meinem ähnlich ist – da ich mich so immer und problemlos direkt in die Handlung fallen lassen kann. Mitunter können aber auch historische Romane an anderen Orten reizvoll sein.

Und wie ist das bei XY? Die eine „Voraussetzung“ stimmte dort für mich, es ist ein Roman, der in der Gegenwart handelt. Doch die andere Voraussetzung war für mich schon bei der Leseprobe ein kleiner erster Stolperstein. Schauplatz ist ein kleines Dorf (San Giuda) in Italien, abgelegen. Die Enge dieses Ortes, aber auch die Verwobenheit der Menschen ist etwas, das mir persönlich nicht so behagt und was mich ein wenig an dieser Geschichte stört. Sie ist andererseits auch eine Voraussetzung, warum die Geschichte so verlaufen kann, wie sie verläuft.

Der Schauplatz hat aber für mich noch eine andere kleine Konsequenz. Ich mag zwar Italien, finde es toll, dort Urlaub zu verbringen. Und auch die Italiener sind mir im Grunde genommen sympathisch. Aber da ich nur einige Brocken Italienisch spreche und nicht zu häufig mit Italienern zu tun habe, sind mir die italienschen Namen fremd. Und davon gebraucht Veronesi viele, die meinen Lesefluss ausbremsen.

 

3. Hauptfiguren

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Im Grunde hat XY zwei ganz zentrale Hauptfiguren, Giovanna und Don Ermete, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. Ich nehme aber gleich noch einen dritten Charakter hinzu, Zeno, der ebenfalls aus der Masse heraus sticht. Ich könnte noch zwei weitere nnenen, das würde aber zu weit führen.

 

\*\*\*a) Giovanna

Giovanna ist Psychaterin, eine noch relativ junge. So weit, so einfach. Sie war früher erfolgreiche Skiläuferin, hatte Chancen, im italienischen Nationalteam auch internationale Wettbewerbe zu fahren. Eine Verletzung (Schnitt an der Hand) bremste sie dann aber aus. Dieser Schnitt, die Narbe, bricht nun erneut auf, versetzt Giovanna in Unruhe, denn es ist unerklärlich, wie das geschehen konnte. Es ist aber nur eine Unerklärlichkeit dieser Geschichte.

Ihre Beziehung mit dem Staatsanwalt Alfredo ist aus ihrer Sicht am Ende, sie will nicht mehr. Doch als Alfredo ihr die Unglaublichkeiten aus dem kleinen italienischen Ort erzählt, ist sie neugierig, sie lässt ihn wieder in ihre Wohnung – und in ihr Bett ...

Dann begegnet sie aber Don Ermete und versucht in genau diesem Dorf, in Ermetes Gemeinde, den verstörten Bewohnern zu helfen.

Für mich ist Giovanna eine reizvolle Figur. Vielleicht liegt es daran, dass sie eine Frau ist, die grob in meinem Alter ist.

 

\*\*\*b) Don Ermete

Bei Don Ermete gilt eher das Gegenteil. Da ich mich oft direkt in Romane rein stürze, ohne vorher die Inhaltsbeschreibung zu lesen, wusste ich zunächst nicht, dass der zweite Ich-Erzähler ein Geistlicher ist. Er schien mir ein einigermaßen sprachwitziger Mann, der mit seiner Dorfgemeinschaft Unglaubliches erlebt.

Doch grade die Rolle als Pfarrer des kleinen Ortes, der versucht, seine „Schäfchen“ wieder zu beruhigen, ist schon wichtig für die Geschichte. Und es ist etwas, das mich persönlich nicht so reizt. Ich habe zwar selber drei Pastoren in der Verwandtschaft, bin aber nicht besonders religiös und würde in Geistlichen auch keine Vertrauenspersonen für mich persönlich sehen.

Auch bei seinen Gemeindemitgliedern hat er an Vertrauen verloren. Das liegt daran, dass der Dorfgemeinschaft etwas derart Grauenvolles passiert ist, so dass sich die Bewohner von Gott verlassen fühlen und seinem „Vertreter“ auf Erden, Don Ermete, nicht mehr vertrauen.

 

\*\*\*c) Zeno

Zeno gehört zu den drei Leuten, die etwas Unglaubliches (dazu gleich unter Geschichte mehr) erleben – zusammen mit Don Ermete.

Zeno ist einer der jungen Dorfbewohner. Zunächst tritt er – da er anders als Don Ermete und Giovanna keiner der Ich-Erzähler ist – nicht besonders in Erscheinung. Aber er wird im Laufe der Geschichte als Gesprächspartner von Giovanna, als einer, der aus der Masse sticht, immer interessanter.

Zenos Mutter und Großvater sind beide irr geworden, beide sind verstorben. Zeno wuchs bei seinem Vater auf, doch noch stärker war der Onkel Beppo, Zenos Bezugsperson. Doch Beppo ist nun tot. Zeno versucht das Pferd zu retten dass den Tod von Beppo und einigen anderen Dorfbewohnern mit erleben musste. Nach und nach erfährt Giovanna, erfahren wir Leser mit ihr, mehr über Zeno: Auch er war – wie sie – ein hoffnungsvoller (Leistungs-) Sportler – als Skispringer. Doch dann wurde Zeno, so erzählt er, von einer Viper gebissen. Aus Angst, wie seine Mutter und sein Großvater für verrückt erklärt zu werden, hat er dieses Geschehen verschwiegen. Aber die Angst hat sich bei ihm breit gemacht, er hat den Sport aufgegeben, ist ins Dorf zurückgekommen.

 

4. Die Geschichte

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Zunächst ist da ein kleines Dorf, San Giuda, ein zauberhafter Laden, der vom Ich-Erzähler, dem Geistlichen Don Ermette, ebenso zauberhaft beschrieben wird. Es  gibt Gewohnheiten: Beppo Formento, Mitglied einer der wenigen Sippen in dem kleinen Ort, kommt immer wieder zur selben Zeit mit einer Reisegruppe nach San Giuda, den stark verschneiten Ort. Doch an diesem Tag trifft nicht Beppo ein, ein völlig verstörtes, verschrecktes Pferd, Zorro, kommt alleine zurück.

Drei Männer, unter Ihnen der Geistliche Don Ermete, machen sich auf den Weg, um den Grund dafür raus zu finden – doch sie entdecken Unerklärliches: Ein Baum, der sonst immer weißlich vereist ist, ist plötzlich blutrot. Und das ist im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen, das Rot ist Blut! Und um den Baum liegen verstreute Leichen. Doch sie sind nicht erfroren, nicht erschossen oder sonst auf die selbe Weise getötet worden: Beppo wurde geköpft, jemand anders von einem Hai zu Tode gebissen, es gibt scheinbar natürliche Todesarten wie Krebs oder Herzinfarkt, neben Menschen, die auf die verschiedensten Weisen ermordet wurden oder sich selbst das Leben genommen haben. Kann so etwas sein? Eigentlich nicht!

Ebenfalls erschütternd und unerklärlich ist das, was mit Giovanna, einer jungen Psychaterin, passiert. Sie wacht auf, ist voller Blut. Sie ist geschockt. Eine Wunde an ihrer Hand hört gar nicht mehr auf, zu bluten. Es ist die Wunde, die sie sich vor fünfzehn Jahren zugezogen hat, als sie sich beim Brotschneiden schnitt. Kann eine Narbe nach fünfzehn Jahren wieder aufbrechen? Eigentlich nicht! Dann ist da noch Alfredo, Giovannas Ex-Freund, der sie nicht gehen lassen will. Er enthüllt ihr, dass er als Staatsanwalt einen besonders unerklärlichen Fall hat, ein Dorf, San Giuda, das von einem unerglaublichen Schicksalsschlag getroffen wurde: Elf Menschen starben – jeder auf eine andere Art. Es gibt nichts, was diese Geschichte erklären könnte. Und grade darum wollen die behören die Wahrheit verändern: Statt dieser Unglaublichkeit soll der Öffentlichkeit ein Anschlag von Islamisten weiß gemacht werden. Dazu sollen die Leichen alle geköpft werden, so wie es die Leiche von Beppo Formento schon ist.

Auch Don Ermete erfährt von diesem Plan. Tagelang wurde er von Alfredos Chef immer und immer wieder verhört, fast so, als sei er selber in diese Grausamkeiten verstrickt. Dann jedoch spricht ihn der leitende Staatsanwalt als Geistlichen an, vertraut Don Ermete an, dass die Wirklichkeit mit der Erklärung eines islamistischen Anschlags übertüncht werden soll.

San Giuda, der kleine, ohnehin gebeutelte Ort, wird noch weiter zerrissen. Die Toten fehlen, die Überlebenden trauern nicht nur um sie, sie trauern auch um anderen, schon vor Jahren verstorbene Angehörige, sie fühlen Krankheiten und Depressionen wieder aufkeimen. Zufällig oder vielleicht auch durch des Schicksals Fügung trifft Ermete auf Giovanna und bittet sie, seiner Gemeinde, die den Glauben an ihn verloren hat, zu helfen. Dabei trifft sie auch auf Zeno, der gemeinsam mit Don Ermete die Toten und den Blutbaum gefunden hat. Er ist anscheinend der einzige, der durch die Geschehnisse einen klareren Kopf bekommen hat.

 

5. Themen

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\*\*\*a) Das Unerklärliche

Das Unerklärliche und die Unmöglichkeit, damit zu leben und klar zu kommen, ist wahrscheinlich das beherrschende Thema dieses Romans. Sandro Veronesi liefert keine echten Erklärungen, die Charaktere versuchen sich welche zusammen zu reimen.

San Giuda, der Ort, dessen Bewohnern dieses Unerklärliche, der Tod von elf Angehörigen, Freundne und Nachbarn wiederfahren ist, war schon vor diesen Geschehnissen nicht das, was man als normale Gemeinschaft versteht. Es waren Menschen, die zurück in ihrer Abgeschiedenheit geblieben waren, die nicht einen neuen Anfang in einer größeren Stadt, in einer anderen Umgebgung gesucht hatten. Sie waren angeschlagen. Und sie sind – natürlicherweise – nicht in der Lage zu verstehen, warum elf der ihren plötzlich tot sind, alle auf unterschiedliche, grausame Weise aus dem Leben gerissen. Da sich keine logische Erklärung anbietet, sind die Bewohner von San Giuda bereit, die Erklärung der Behörden, die Erklärung eines islamistischen Anschlags, zu akzeptieren. Auch der ist ungeheuerlich (und nebenbei gesagt auch unlogisch – denn wieso sollten Islamisten ganz unspektakulär eine unbedeutende Dorfgemeinschaft angreifen wenn sie doch mit einem Anschlag im Blickfeld der Öffentlichkeit mitten in einer Großstadt viel mehr Aufmerksamkeit wecken könnten).

Das Unerklärliche sorgt aber auch dafür, dass selbst Menschen, wie Don Ermete und Giovanna, die als Geistlicher und Ärztin eigentlich gewohnt sind, Dinge auf ihre jeweilige Weise zu erklären, keine Antworten parat haben.

 

\*\*\*b) Wahrheit

Die Wahrheit ist in dieser Geschichte wichtig – wird aber zugleich auch unter den Teppich gekehrt, und das in verschiedenster Weise.

Da ist die Wahrheit, was Don Ermeto und seine beiden Begleiter entdeckt haben, als sie zum Blutbaum und den elf Leichen ihrer Nachbarn und Angehörigen kamen. Es ist die Wahrheit, die auch die anderen Bewohner schließlich mit eigenen Augen gesehen haben und die sie alle miteinander bereit waren zu verdrängen. Don Ermeto erfährt später vom leitenden Staatsanwalt noch weitere Details dieser Wahrheit. Doch dieser Mann des Rechtes nutzt die Rolle von Ermeto als Geistlichem aus – und vertraut diesem die Wahrheit nur unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses. So ist Don Ermeto nicht in der Lage, über die Geschehnisse zu sprechen.

Ähnlich ergeht es Giovanna. Ihr Ex-Freund macht sich ihre Rolle als Ärztin und Psychaterin zu nutze und nimmt ihr so auch das (ärztliche) Versprechen der Verschwiegenheit ab.

Öffentlich und offiziell wird die Wahrheit nicht erzählt, wird durch die Geschichte eines Anschlags überdeckt.

Neben dieser großen Frage der Wahrheeit gibt es noch die vielen kleinen Geheimnisse und Unwahrheiten in San Giuda, die Verwandtschaftsverhältnisse und Familiengeschichten, Schuld und Verletzungen betreffen und die Sandro Veronesi ans Tageslicht bringt.

 

\*\*\*c) Beziehungen

Damit wären wir auch schon beim nächsten Punkt, den Beziehungen. In dem kleinen Dorf mit nur wenigen Familienstämmen sind die Beziehungen fast schon inzestuös. Und wenn jeder mit fast jedem anderen verwandt ist, ist auch klar, dass Krankheiten eher vorkommen als in einer Gesellschaft, in der nicht immer und immer wieder Verwandte einander heiraten.

Dann ist da unter dem Stichwort Beziehungen auf ganz andere Weise die zwischen Giovanna und Alfredo zu nennen. Ihnen ergeht es wie vielen Paaren: Ein Teil, in diesem Fall sie, will die Trennung. Sie stört sein Aussehen, seine Art, mit ihr umzugehen, sie stören seine sexuellen Vorlieben. Er dagegen liebt sie, will nicht ohne sie sein, versucht, seinen besonderen Fall, die Unerklärlichkeiten der Tat von San Giuda, zu nutzen, um Giovanna erneut an sich zu binden. Es gelingt ihm fast. Doch dann kommt die Bitte von Don Ermete, und Giovanna nutzt die Hilfsbdürftigkeit der Menschen im Dorf, um Abstand zwischen sich und ihre Beziehung zu Alfredo zu bringen.

 

\*\*\*d) Religion

Don Ermete hat sich San Giuda speziell ausgesucht, da er wusste, dass diese Gemeinde besondere Schwierigkeiten hat, dass sie abgelegen ist, dass viele junge und gesunde Menschen das Dorf verlassen haben und vor allem die ältere und kränkeren übrig blieben. Da er einer Gemeinschaft von Geistlichen angehört, die sich grade diesen sehr schweren besonders annehmen, hat er sich entschieden, hierher zu kommen. Tatsächlich hat er es im Laufe der zehn Jahre, die er in San Giuda gewirkt hat, geschafft, die Menschen des Ortes zusammen zu führen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Doch dann kommt es zu diesem unglaublichen Vorfall – und die Menschen scheinen ihren Glauben verloren zu haben. Sie fragen sich, wie Gott ihnen so etwas angetan haben kann.

 

6. Erzählweise:

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Die Erzählweise in diesem Roman wird vor allem durch zwei charakteristische Punkte geprägt. Den einen finde ich grundsätzlich gut, den anderen sehr fatal und schlecht:

Veronesi erzählt die Geschichte aus dem Ich-Erzähler-Blickwinkel von zwei Figuren, von Giovanna und Don Ermete. Das ist grundsätzlich gut. Denn man ist als Leser dicht an diesen Charakteren, erfährt intensiv, was sie denken, fühlen, erleben. Dadurch zerfasert sich die Handlung erst einmal auch nicht, was schnell in Romanen passiert, in denen schnell zwischen ganz vielen Figuren hin und her geblendet wird. Allerdings gilt für mich: Ich persönlich fand die Giovanna-Passagen reizvoller. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mich als Frau eher mit Giovanna identifizieren kann. Das ist bei Ermete weniger der Fall, nicht nur weil er ein Mann ist, sondern vielmehr, weil er Geistlicher ist.

Das, was mich aber noch mehr bremst und was für mich ein dicker Minuspunkt dieser Geschichte ist, ist die Aufmachung: Oft gibt es seitenlang keine Absätze. Weder das Auge noch der Verstand des Lesers hat so Gelegenheit, Pause zu machen, man ist in unübersichtlichen Seiten gefangen – und gibt irgendwann entnervt auf. Es gab Tage, an denen ich keine Lust hatte, weiter zu lesen, da ich keine Lust hatte, mich wieder durch diesen Dschungel zu kämpfen, der am Ende noch schlimmer wird, da Veronesi zum schlechten Schluss fast ganz auf Satzzeichen verzichtet. Wahrscheinlich sagt der Autor, wahrscheinlich sagt der Verlag, das ist Kunst. Vielleicht bin ich zu konventionell. Doch wenn ich Veronesi und dem Verlag einen guten Rat geben sollte, so würde ich dringend empfehlen, Absätze einzubauen und die Geschichte so etwas besser zu strukturieren.

 

7. Zielgruppe

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Es fällt mir dieses Mal besonders schwer, eine Zielgruppe zu nennen. Vielleicht sind es eher die „intellektuelleren“ Leser, die Vergnügen an XY haben werden. Denn Veronesi hat mitunter eine wunderbare Sprache und seine detailierteren Beschreibungen werden manchem Feinschmecker italienischer Literatur sicher besonders munden.

Wer hingegen eher konventionelle Thriller Krimis mag, mit Ermittlern, mit einem klaren Auffinden der Schuldigen der ist sicher mit XY nicht so gut bedient.

 

8. Daten zum Buch

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Sandro Veronesi – XY, Michael von Killisch-Horn (Übersetzer)

Gebundene Ausgabe: 380 Seiten

Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1., Aufl. (August 2011)

ISBN-10: 3608939601, ISBN-13: 978-3608939606

 

 

9. Pro & Contra

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Pro:

- furioser Anfang

- Hauptfigur Giovanna

- mitunter zauberhafte Sprache

 

Contra:

- phasenweise seitenlang keine Absätze – schwer zu lesen

- Figur Don Ermete

- teilweise zu detailierte Beschreibung von Kleinigkeiten

- im Mittelteil zu viele Figuren

 

10. Fazit

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Die Leseprobe von „XY“ hatte mich schwer begeistert. Der furiose Anfang, ein Baum voll Blut, elf Tote, alle auf unterschiedliche Weise gestorben, das lässt den Atem stocken. Das ganze war und ist dann auch noch in eine kluge, reizvolle Sprache gekleidet und obendrein gibt es mit der Psychaterin Giovanna auch noch sehr gute Hauptfigur, mit der ich mich als Leserin identifzieren konnte. All das hatte durchaus Potential für einen sehr spannenden Roman.

Doch leider vielen für mich im Laufe des Lesens noch andere Punkte ins Auge und Gewicht. Da ist die zweite zentrale Hauptfigur. Der Geistliche Don Ermette ist zwar einer, der sich um seine Mitmenschen kümmert, er hat aber als Geistlicher bei mir auch eine (vielleicht nicht sachlich erklärbare) Antipathie ausgelöst.

Noch mehr hat mich aber gestört, dass Veronesi seitenlang keine Absätze macht. Wenn der Inhalt dieser Seiten atemberaubend wäre, wäre es ja noch okay. Aber wenn es z.B. die Beschreibung einer Skipiste oder eines Raumes ist, langweilt mich das. Ich habe keine Chance, mein Auge mal auszuruhen, es ist ermüdend und für mich ein ganz gewaltiger Minuspunkt dieser Geschichte. Auch die vielen Figuren im Mittelteil, die ich mir „Dank“ ihrer für mich ungewohnten italienschen Namen auch schwer merken kann, haben meinen Lesefluss gelähmt.

Insgesamt haben sich meine sehr hohen Erwartungen an XY nicht erfüllt. Es ist durchaus ein interessanter Roman, aber sicher eher einer für „intellektuelle“ Leser als einer für Leute, die die leichte Urlaubs- oder Regennachmittagslektüre suchen.

Ich vergebe sehr knappe vier Sterne und eine sehr eingeschränkte Empfehlung.